23.06.2024
Publikation: WW Magazin
Dany Bahar gibt Gas (wieder einmal)
Er galt bei Red Bull und Ferrari als Wunderkind respektive Manager-Star, doch als Chef von Lotus steuerte er den Autohersteller fast an die Wand. Jetzt ist der Schweizer zurück, mit ARES, seiner eigenen Supersportwagenmarke. Kommt das gut?
Bahar
Bild: OBEN Würden Sie diesem Mann ein Auto abkaufen? Der neue Dany Bahar – sieht immer noch smart aus. UNTEN: Hier, im «Motor Valley» bei Modena, entsteht auch der Ares Panther Evo, ein Supersportwagen.

Wenn man die Firma beim Vorbeifahren von der Autobahn aus erkennen kann, hat es der Unternehmer geschafft. So geht eine populärwirtschaftliche Erkenntnis. Und falls sie zutrifft, hätte Dany Bahar es geschafft – wer auf der Autostrada del Sole, die Mailand mit Neapel verbindet, unterwegs ist, sieht auf der Höhe von Modena den Sitz der von ihm geführten Firma Ares. Es wäre der Beweis, dass Bahar, ein Schweizer, doch noch Erfolg hatte und etwas Eigenes aufbauen konnte. Nachdem der heute 51-Jährige am Anfang seiner Laufbahn als «Wirtschaftswunderkind» (Zeit Magazin) und Absolvent einer «Blitzkarriere» (Tages-Anzeiger) rauf- respektive später als «schillernde Figur» (Handelszeitung) oder «Hochstapler» (Blick) runtergeschrieben worden war.

Ares Modena ist ein sogenannter Coachbuilder, ein Handwerksbetrieb, der Autos veredelt, abändert nach Kundenwünschen; auf Deutsch würde man, leicht holprig, von einem «Karosseriebauunternehmen» sprechen. Dieser Betrieb ist untergebracht in Werkhallen, die zuvor von Fiat als Ersatzteillager genutzt wurden. Das Umland von Modena, einer Stadt zwischen Mailand und Bologna, wird als «Motoren-Tal» beschrieben; die angesehensten italienischen Autohersteller, darunter Ferrari, Maserati oder Lamborghini, sowie zahlreiche Zulieferbetriebe befinden sich in der Gegend.

Autos der obersten Hubraum- beziehungsweise Preisklasse sind Bahars Beritt. Bevor er sich mit Ares, «wie der griechische Kriegsgott», so Bahar – das Logo zeigt einen Helm, «weil wir schon bei der Gründung wussten, dass wir aufs Dach bekommen werden» –, vor rund neun Jahren selbständig machte, war er Chef von Lotus, einem Sportwagenhersteller. Zuvor arbeitete er für Ferrari im Marketing, unmittelbar unter Luca di Montezemolo, seinerzeit Ferrari-Vorsitzender. Davor war er die Nummer zwei bei Red Bull, dem Getränkehersteller, und hatte nur Gründer Dietrich Mateschitz über sich.

WESSEN IDEE WAR’S?
Beobachter allerdings urteilten, Dany Bahar wechsle seine Stellen jeweils, bevor klarwerde, wie viel (oder wenig) er bewegt habe. Beziehungsweise nicht freiwillig. Bei Red Bull war er knapp vier Jahre, bei Ferrari nicht einmal drei. Er sagte in einem Bilanz-Interview, wenn die wichtigsten Entscheide umgesetzt seien und die Richtung stimme, suche er sich eine neue Herausforderung. Mir sagte er, es sei immerhin seine Idee gewesen, dass Red Bull mit eigenen Teams in der Formel 1 mitfahren sowie eine Fussballmannschaft kaufen soll (seit einiger Zeit beherrschen Red-Bull-Autos die Rennserie, die des zweiten Stalls, RacingBulls, liegen weiter hinten; der FC Red Bull Salzburg lag bei Redaktionsschluss auf Platz zwei der österreichischen Bundesliga).

Spätestens als er bei Lotus gehen musste, wurde er abgeschrieben: Er habe die britische Traditionsmarke «beinahe an die Wand gefahren» und sei deshalb «durch jemanden ersetzt worden, der etwas von Autos zu verstehen scheint», stand beispielsweise in der Finanz und Wirtschaft. Bahar, damals 41, war nach bloss zwei Jahren als CEO (und 20-Prozent-Aktionär) von Lotus fristlos entlassen worden. Weil seine Pläne, die Firma in einen Ferrari-Konkurrenten umzubauen, unbezahlbar gewesen seien für den damaligen Mehrheitsbesitzer, den malaiischen Autokonzern Proton. (Bahar forderte in der Folge zehn Millionen Franken für entgangene Löhne vom Ex-Arbeitgeber, dieser wiederum warf ihm vor, Firmenmittel für «exzessiven Luxus» verschwendet zu haben, darunter eine 480 000 Franken teure Privathausrenovierung plus Flüge in Privatjets und Helikoptern für 1,5 Millionen. Quelle: Neue Luzerner Zeitung; die Parteien einigten sich aussergerichtlich.)

Dany, eigentlich Taner Bahar – die türkische Mutter arbeitete in einem Hotel, der Vater aus Slowenien war Elektriker –, wurde in Istanbul geboren und wuchs in Surlej auf, einem Teil der Oberengadiner Gemeinde Silvaplana. Er machte eine Verkäuferlehre in einem Sportgeschäft, danach das KV bei einem Autozulieferer. Anschliessend arbeitete er als Eventmanager sowie für Fritz Kaiser in Vaduz, wo er einen der wichtigsten Kunden des Vermögensverwalters betreute: Red-Bull-Chef Dietrich «Didi» Mateschitz.

Jahre später, als er bei Lotus wirkte (oder eben nicht), kommentierte ein Schreiber von Speedweek, eine Motorsport-Onlineplattform des Red Bull Media House, ausgerechnet, wer bei achtzig Millionen Euro Umsatz einen Verlust von dreissig Millionen macht, nur 1600 Autos im Jahr baut und trotzdem dreissig Millionen ins Formel-1-Team pumpt, müsse «ein Genie oder dem Wahnsinn nahe sein». Was ziemlich genau der Beschreibung entspricht, die ein ehemaliger Kollege von Bahar bei Red Bull und Ferrari über ihn abgab. Er meinte das nicht mal abwertend – die Zusammenarbeit mit Dany sei spannend und inspirierend gewesen. Zudem wohl die einzige Zeit, in der er einen Vorgesetzten hatte, für den Kosten nie ein Hindernis, erst recht keinen deal breaker dargestellt hätten.

ALTER DANY, NEUER DANY
An einem Dienstag im Januar fährt ein hellgrauer Audi RS6 am Taxistand von Milano Centrale vor, Bahar holt mich ab am Bahnhof der Stadt, in der er seit einigen Jahren lebt. Das vergangene Jahr sei anspruchsvoll gewesen für Ares, beantwortet er die Frage nach dem Geschäftsgang. Wie alle privaten, rasch wachsenden Unternehmen benötige auch seine Firma frisches Geld. Doch 2023 sei man nicht leicht zu solchem gekommen. Weil Private-Equity-Investoren, reiche Familien oder Fondsgesellschaften, anderswo risikoärmer investieren konnten und dank gestiegener Zinsen dennoch gute Renditen erzielten. Das habe dazu geführt, dass Ares die Fahrzeugproduktion nicht im geplanten Umfang erhöhen konnte. «Und wenn man weniger Autos liefern kann, verkauft man weniger», sagt er im Mailänder Verkehr.

Eine wahrscheinlich zutreffende, abgestufte Lagebeurteilung, wie man sie von einem Unternehmer erwartet. Wie man sie aber, fussend auf Erfahrungen der Vergangenheit, nicht von Dany Bahar erwartet hätte. Oder jedenfalls nicht vom alten Dany. Der neue hingegen hat einen Reality-Check hinter sich. Und seither haben «Visionen», oder sagen wir: Übertreibungen, Pragmatismus Platz gemacht, so sieht’s aus. Der neue Dany, nebenbei, sieht so gut aus wie der alte, immer noch «smart», wie er stets beschrieben wurde, in schwarzem Cardigan, Jogginghosen fürs Büro und passenden Louis-Vuitton-Turnschuhen. Seit 2017 ist er von Annett, geborene Johansson, der Tochter des in Zürich tätigen Headhunters Björn Johansson, geschieden; sie blieb mit den beiden jüngeren Kindern in Dubai, wohin Bahar und seine Familie nach seinem Lotus-Exit gezogen waren, die ältere Tochter studiert in Kopenhagen.

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Flügeltüren sind besser (finden reiche Autofans): Rendering des Ares S1 Gullwing.

Neunzig Minuten später haben wir 180 Autobahn-der-Sonne-Kilometer hinter und den Ares-Schriftzug vor uns. Im Inneren des Firmensitzes ist es hell, selbst an diesem trüben Tag – Böden, Wände und Decken sind weiss oder aus Glas. Das Chefbüro hat die Form eines Trapezes und fast die Fläche eines Tennisplatzes. In einer ebenfalls weissen Werkshalle steht eine Maschine von der Grösse eines Lastwagens, damit würden Autobauteile aus Kohlefasern hergestellt, erklärt der Marketingchef (die Carbon-Maschine sei grösser als die bei Ferrari, nur zum Sagen). Er zeigt mir Autos, die von Ares customized, veredelt, wurden. Entweder nach Art des Hauses – Land-Rover-Defender- Modelle bekommen bulligere Karosserien, weichere Lederpolster, Edelholz-Fussräume wie Riva-Boote; viertürige Bentley-Mulsanne-Limousinen werden zu zweitürigen Riesen-Coupés umgebaut – oder Freestyle-mässig, also nach Kundenwunsch.

HELLO, SUPERCAR BLONDIE
In der nächsten Halle entstehen Ares-S1-Modelle, zweitürige Supersportwagen, die ein wenig aussehen wie das Batmobil. Unter der geschwungenen, gelungenen Karosserie sind das Fahrgestell und der 6,2-Liter-/V8-/715-PS-Motor der Chevrolet C8 Corvette verbaut. Der Tourguide zeigt auf ein schwarz-goldmetallisches Exemplar und sagt, dieses sei für Supercar Blondie. Supercar Blondie? Eine australische Influencerin in Dubai mit sechzehn Millionen Instagram-Followern und noch mehr Leuten, die ihren Youtube-Kanal, auf dem es ebenfalls um die teuersten Autos der Welt geht, abonniert haben.

Der S1 ist das erste Autos, das Ares in höherer Auflage herstellt. Und also wichtig für die Firma: Eine Kleinserie verschafft mehr Profitabilität als Einzelanfertigungen. Damit soll Stufe zwei von Dany Bahars Businessplan erreicht werden: 250 bis 300 Fahrzeuge jährlich, 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, 150 Millionen Euro Umsatz. Den S1 gibt’s ab zirka 800 000 Euro. Viel Geld für ein Auto mit wenig Geschichte, keinem track record – kann das funktionieren, wird das gekauft?

«Klar», sagt Bahar. «Schwierig», sagt Ulrich Safferling, ein deutscher Motorjournalist, unter anderem Chefredaktor des Schweizer Klassiker- Magazins Spirit. Er findet den Ares S1 nicht besonders originell. Es habe bereits in den 1960er Jahren Kleinserien-Sportwagen auf Corvette-Basis gegeben, etwa den Iso Rivolta, doch bei dem stammte die Karosserie von Bertone, einem grossen Namen in der Branche. Anderseits sei die Technik wohl solide. Zudem fänden sich immer Käufer, die das Einzigartige suchten. Einen Ares-veredelten Land Rover, übrigens, bekommt man preiswerter, ab rund einer Viertelmillion, während der Ares-Bentley-Mulsanne-Einstiegspreis bei einer Dreiviertelmillion Euro liegt. Nach oben, of course, ist der Himmel über Modena (oder Dubai) die Grenze.

Geld wurde bisher bei sechs Investoren gesammelt, darunter Boris Collardi und Philippe Gaydoul.

Wer braucht einen Super- oder Hypercar mit 600, besser 1000 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von mehr als 300 km/h? (Die Unterteilung ist unscharf; vereinfacht gilt: je stärker der Motor respektive je kleiner die Auflage, desto hyper.) Niemand, ausser Supercar Blondie. Doch: Wer will einen? Eine ganze Menge Käufer, und es sind fast ausschliesslich Männer. Beat Imwinkelried, der wohl wichtigste Schweizer Ferrari-Händler, sagt: «Am gefragtesten sind immer die teuersten, obersten, seltensten Modelle, nicht nur bei Autos, sondern allgemein bei Luxusgütern – Ferrari-Daytonas, Hermès-Birkin-Bags, Patek-Philippe-Grandes- Complications et cetera.»

VOM TROTTINETT BIS ZUR JACHT
Bahar hat Ares mit einem Geschäftsmann, den er als seinen Mentor bezeichnet, gegründet: Waleed Al Ghafari, 66, Kanadier arabischer Herkunft mit University-of-Oxford-Mathematik-Abschluss und Produzent von Filmen, die für Oscar-Auszeichnungen nominiert waren (eigene Angaben). Ich erreiche ihn in Dubai, auf einem Mobiltelefon mit Schweizer Nummer. Ares sei die beste Investition seines Lebens, sagt Ghafari. Womit er nicht sagen wolle, es gäbe keine Schwierigkeiten, «doch wir sind den Kinderkrankheiten entwachsen, verspüren bereits Schmerzen des fortgeschrittenen Alters». Er bezieht das auf die Mittelbeschaffung, für die er zuständig ist.

Geld gesammelt haben die beiden Gründer, die Mehrheitsbesitzer sind, bisher bei sechs Investoren aus dem Nahen Osten und der Schweiz, darunter Boris Collardi, ehemaliger CEO der Bank Julius Bär in Zürich, und Philippe Gaydoul, der frühere Denner-Mitbesitzer. Gaydoul soll einen hohen einstelligen Millionenbetrag bezahlt haben für 20 bis 30 Prozent der Ares-Anteile (Quelle: Bilanz, entspräche einer Firmenbewertung von zirka vierzig Millionen). Er sagt, verknappt, vieles laufe gut bei Ares, einiges weniger gut, was aber normal sei bei Unternehmen, die rasch wachsen würden. Die Marktchancen schätze er als gross genug ein.

Retour auf Bahars Tennisplatz, Pardon: in seinem Büro. Er schaut nach vorne, erzählt über Modelle in the making, den Panther ProgettoUno, einen Entwurf, der auf dem De Tomaso Pantera fusst, einem Supersportwagen der 1970er Jahre. Vor allem aber über seinen Masterplan für stilvolle und zeitgemässe, also elektrische Fortbewegung im Ares-Stil – vom E-Scooter (Trottinett) über den Kleinwagen (eine Art Fiat Cinquecento) bis zur Jacht soll von Ares in naher Zukunft alles zu haben sein. Er findet somit doch zurück zur Form, die man von ihm erwartete – der alte Dany Bahar ohne Scheu und Zurückhaltung vor grossen Vorhaben, vor Visionen.

BALD – ODER GAR NICHT MEHR
Ich frage, wann der seit längerem geschlossene Ares-Showroom an der Uraniastrasse in Zürich wieder öffne? «Entweder bald – oder gar nicht mehr», antwortet er; der Mietvertrag wurde schliesslich auf Ende Mai gekündigt. Ebenfalls dann schloss das Verkaufslokal in St. Moritz. Nachdem es zuvor noch Aufsehen erregt und medialen Niederschlag erzeugt hatte: Bündner Polizisten versiegelten es im Auftrag des Konkursamts Maloja und arretierten die Autos für einige Tage mit Wegfahrsperren. Das war nicht gut für die Optik, Inside Paradeplatz, ein Finanzblog, berichtete darüber, der Autor vermutete einen Markenrechtsstreit mit Ferrari. Worum genau es ging, wollte Bahar nicht verraten, er schrieb mir bloss, die Massnahme habe damit zu tun gehabt, dass die mietende Firma keinen Sitz in der Schweiz vorweisen könne. Oder wie ein Journalistenkollege mal zusammenfasste: «Wäre es einfach zu durchschauen, wäre es nicht Dany Bahar.»

Der hat, scheint’s, Showrooms gedanklich bereits hinter sich gelassen. Zur besten Zeit betrieb Ares vierzehn davon in Europa, Amerika und im Nahen Osten – «zu viele», findet Bahar mittlerweile. Die Zukunft sei virtuell, auch was den Verkauf von Luxusgütern betreffe, inklusive Supersportwagen. Sich solche in einem Showroom anzusehen, darin Platz zu nehmen und so weiter, das sei dagegen von gestern. Morgen ist AI, künstliche Intelligenz, und AR, augmented reality, erweiterte Realität. Die «Vision Pro»-Virtual-Reality-Brille von Apple (Preis: um 5000 Franken) zeige, wohin die Reise gehe. Ares könnte eine Pionierin sein, und dem Lowtech-Produkt Auto würde es guttun, wenn man ihm ein wenig Hightech verpasse, sagt er.

Dann ist es wohl auch Zeit, die Erkenntnis zu vergessen oder wenigstens upzudaten, dass Dany Bahar es geschafft habe – nur weil man den Firmensitz von der Autobahn aus erkennen kann.

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