Der 2. September 1980 begann wie ein gewöhnlicher Tag im aussergewöhnlichen Leben der Nina Kandinsky. Die damals zirka 84-Jährige – in amtlichen Papieren gibt es zwei Geburtstage, 16.April 1896 respektive 17. April 1895 – verbrachte den Frühherbsttag in ihrem Ferienhaus am Oberbort, es ging leichter Nieselregen über Gstaad nieder. Sie sass im Wohnzimmer des Chalets mit Namen «Esmeralda», las im Kommissar-X-Krimi «Der Henker kam um Mitternacht», dazu lutschte sie ein Kirschbonbon. Am Nachmittag erwartete sie zwei Freundinnen zum Tee. Doch ihr Mörder kam dem zuvor. Und er, oder sie, setzte ihrem beschaulichen Dasein ein brutales Ende: «Erwürgt mit blossen Händen», rief zwei Tage später die Blick-Schlagzeile von Seite eins.
Nina Kandinsky, née Andreevskaja und vielleicht russischem Adel entstammend, der Vater angeblich ein General, war Wassily Kandinskys Witwe. Sie hatte Kandinsky, Russe ebenfalls, mit zwanzig kennengelernt, er war damals bereits fünfzig, geschieden und ein Malerfürst. Das heisst, der künstlerische Wert seiner Bilder wurde hochgeschätzt, kommerziell hingegen war das Werk noch ein Nonvaleur. Nina wurde seine zweite Ehefrau und später, nach seinem Tod im Jahr 1944, Verwalterin seines Erbes. Bald zogen die Preise des Nachlasses stark an. Und machten Nina zu einer reichen, sehr reichen Witwe.
Einen Teil ihres Vermögens investierte sie in Immobilien – ihr Hauptwohnsitz war im Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine, einer bevorzugten Adresse des arrivierten und vermögenden französischen Bürgertums –, in den 1960er Jahren kaufte sie das Chalet Esmeralda in Gstaad. Ein «Chalet» ist im Grunde ein ländliches Haus aus Holz, im hübschen Ort in den Berner Voralpen dürfen nur solche gebaut werden, um Bausünden vorzubeugen. Darum weisen dort alle Gebäude ein Satteldach aus Holz auf und heissen «Chalet», die Preise zählen zu den höchsten der Welt; das zweistöckige Chalet Esmeralda ist gross, aber nicht grand. Denn was Nina wichtiger war als die schicksten Gebäude: Sie wollte die edelsten Steine beziehungsweise die schönsten Stücke, die die besten Kunsthandwerker daraus herstellen konnten, besitzen. Sie war eine der ausgabefreudigsten Kundinnen von Van Cleef & Arpels, dem haute joaillerie maison aus Paris; Mitarbeiter der Boutiquen in New York beziehungsweise Genf sollen sich fast darum geprügelt haben, wer sie bedienen durfte. Madame lebte für ihre Juwelen. Sie sollte auch dafür sterben, so sieht es aus.
Das Raubgut, Schmuck im Wert von mehr als einer Million, wurde nie sichergestellt.
Am frühen Abend des 2. September alarmierte der Direktor des «Alpina» den diensttuenden Beamten der Gstaader Polizeiwache. Zwei Hotelgäste, die Damen Schlemmer und Arendt aus Deutschland, waren für 17.00 Uhr zum Tee mit der Kandinsky verabredet gewesen. Doch als sie bei ihrem Haus eintrafen und läuteten, habe niemand geöffnet. Obwohl im Inneren des Chalets Esmeralda Licht brannte – ein untypisches Verhalten für ihre zuverlässige Freundin.
Der Dorfpolizist rückte aus und traf vor dem Haus den Hotelier sowie den Architekten des Chalets, der einen Passepartout, Ersatzschlüssel, mitbrachte. Diesen hatte ihm die ängstliche und darum in einer gutgesicherten Liegenschaft lebende Besitzerin überlassen. Sie öffneten die verriegelte Türe und traten ein. «Frau K. lag regungslos nach der Türschwelle quer in Rücklage am Boden im Badezimmer. Die Beine, mit angezogenen Schuhen [an den Füssen], gespreizt, den Oberkörper zwischen Klosett und Wand und in der linken Hand ein graublaues Handtuch», hielt der Polizist das Bild, das sich bot, im Protokoll fest.
Der leblose Körper schien unversehrt
An dieser Stelle eine Information, die als spoiler, das Verderben des Genusses am folgenden Inhalt beziehungsweise der darin enthaltenen Spannung, gekennzeichnet werden muss: Am 12. September 2013 wurde die Einstellung der Untersuchungen im Mordfall Kandinsky, Nina von der zuständigen Behörde verfügt. Vergangenes Jahr stellte ich bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern ein Gesuch um Akteneinsicht, dieses wurde genehmigt, erstmals für einen Journalisten. Weshalb ich im Januar dieses Jahres einen Tag in einem kleinen Zimmer des Thuner Verwaltungsgebäudes mit den vier grauen, gutgefüllten Bundesordnern, in denen sich die Unterlagen zum Tötungsdelikt befinden, verbringen durfte.
Auf den ersten Blick sah die crime scene nicht aus, wie man sich eine vorstellt: Die Eingangstüre war verschlossen und unversehrt gewesen. Im Haus herrschte kaum Unordnung, Blutspuren fehlten. Der leblose Körper Kandinskys schien unversehrt. Erst bei genauerem Durchsuchen des Hauses, als Fahnder aus Thun am späten Abend eingetroffen waren, fiel auf, dass eine schmale Schublade im Entrée offen stand. Der oder die Täter hatten einen Schraubenzieher entnommen, mit dem sie einen Schrank öffneten. Und, vor allem, dass der in eine Schlafzimmerwand eingelassene Tresor ausgeräumt worden war.
Der alten Dame, so sah es aus, war widerfahren, wovor sie sich nach Auskunft von Bekannten – nahe Freunde oder Freundinnen soll sie keine oder fast keine gehabt haben – die längste Zeit geängstigt Opfer eines Raubs geworden. Eines Raubs, bei dem die Täterschaft keine Zeugin zurückliess zudem. Die Leichenöffnung ergab, dass Madame erdrosselt worden war; die vom Gericht eingesetzten Mediziner stellten Würgemale am Hals fest, den Bruch des Zungenbeins sowie punktuelle Blutungen in den Augen.
Die Untersuchungen förderten ausserdem zutage, dass 42 Schmuckstücke, die im Tresor lagen, fehlten, ihr Wiederbeschaffungswert wurde auf mehr als zwei Millionen Franken geschätzt (zu heutigen Preisen ungefähr 4,4 Millionen). Die Bilder Wassily Kandinskys hingegen, die es im Chalet gab und deren erzielbare Verkaufspreise über denen der Juwelen lagen, hingen unberührt an den Wänden; sie sind bis heute in Bern ausgestellt, die Witwe hatte zu Lebzeiten verfügt, dass diese Werke ihres Mannes nach ihrem Tod dem dortigen Kunstmuseum geschenkt würden; die Mehrheit seines Œuvre war an das Centre Georges- Pompidou in Paris gegangen.
Zwei Tage später leiteten die Behörden eine Fahndung nach dem oder den Mördern ein. Am Freitag, 5. September, war in Zeitungen die von Associated Press (AP) verbreitete Meldung zu lesen, dass die Witwe des Malers Wassily Kandinsky erwürgt worden sei, «möglicherweise von einem Einbrecher». Tags darauf wurde von AP nachgereicht, unter Bezugnahme auf Untersuchungsrichter Johannes Friedli, ein verschwundenes Diamantencollier «im Werte von mindestens einer Million Schweizerfranken» könnte nach Ansicht der Polizei ein Hinweis auf das Motiv sein und Madame Kandinsky zum Opfer eines Raubmords machen.
In den folgenden 32,5 Jahren sollte nicht wesentlich mehr herausgefunden werden.
So weit, so plausibel. Und so weit, so bescheiden. Doch in den folgenden 32,5 Jahren, bis die Ermittlungen offiziell aufgegeben wurden, sollte nicht wesentlich mehr über das Verbrechen herausgefunden werden. Der Mord an einem der berühmtesten Opfer des Landes blieb ungelöst und ungesühnt.
Von den 142 vorsätzlichen Tötungen, die 1982 in der Schweiz erfasst wurden – das Jahr für das beim Bundesamt für Statistik minimale Kriminalzahlen vorliegen (Fedpol-Daten) –, konnte die Täterschaft in 125 Fällen registriert werden. Das entspricht einer Rate von 88 Prozent (heute werden rund hundert Fälle von Gewalttaten mit Todesfolge mehr registriert, um 250 jährlich, die Aufklärungsrate liegt zirka 10 Prozentpunkte höher, bei gegen 99 Prozent, dies wegen der Möglichkeit, Gewalttäter anhand von DNA-Spuren, dem genetischen Fingerabdruck des Menschen, zu überführen). Der Mord an Nina K. zählte bereits damals zur kleinen Minderheit von Tötungsdelikten, die mit dem aus dem Fernsehen bekannten «Aktenzeichen XY. . . ungelöst» ab- gelegt werden mussten.
Doppelstandards der Ermittler
Doch weshalb konnte wohl just in diesem Fall, mit einem berühmten Mordopfer und weit über die Landesgrenzen ausstrahlender Aufmerksamkeit, kein Täter eruiert sowie dingfest gemacht werden? Der Zufall, sagt man, sei die in Schleier gehüllte Notwendigkeit. Aber worum handelt es sich hier – um einen Zufall oder um Notwendigkeit?
Bereits achtzehn Monate nach der Bluttat urteilte Angelika Overath, eine Journalistin aus Deutschland, heute Schriftstellerin im Engadin, in der Zeitschrift Transatlantik, es scheine im Kanton Bern niemanden zu bekümmern, dass die Ermittlungen (sozusagen) eingestellt worden seien. «Wunderbar, wie diskret die Schweizer Kriminalpolizei arbeitet.» Später, 1995, stand in der Süddeutschen Zeitung, die Ermittlungsbehörden hätten sich kein Bein ausgerissen, stattdessen gar etwas vertuscht. Der Journalist berief sich auf Bekannte von Kandinsky und reichte einen Erklärungsversuch nach: Der unbefleckte Ruf des schicken Kurorts sei auf dem Spiel gestanden: «Dass einige der reichsten Leute dieser Welt in Gstaad ihre Wintersaison verbringen, hat nämlich mindestens ebenso viel mit der vielgerühmten Sicherheit und Abgeschiedenheit des Ortes zu tun wie mit seinen weltbekannten Skipisten.»
Ganz unglaubwürdig scheinen die Behauptungen der amies de Nina beziehungsweise der Journalisten nicht. Ein Vierteljahrhundert nach der Tat, 2006, fragte Walter Däpp im Berner Bund erneut: «Wurde damals vielleicht nicht mit jener Dringlichkeit und Entschiedenheit ermittelt, wie man es anderswo getan hätte?» Dieses Mal handelte es sich nicht um eine rhetorische Frage, sondern eine an Peter Baumgartner, den Chef der Berner Kriminalpolizei. Aufgrund seiner Aktenkenntnis sei er überzeugt, dass an dem Fall während Monaten intensiv gearbeitet worden sei, antwortete er. Jahre später habe man die Spurensuche erneut aufgenommen – ohne Ergebnis allerdings. «Polizeilich wurde damals also gut gearbeitet.» Was die Meinung der zu Zweifeln Neigenden aber nicht zu ändern vermochte. Ein Artikel, der erst vorvergangenes Jahr in den Tamedia-Zeitungen erschien, beschrieb Doppelstandards der Ermittler (beim Befragen von Schweizern respektive Ausländern) unter der Headline: «Ein einheimischer Täter? Undenkbar!»
Wer hat recht, die schreibenden Laienrichter oder der zwar nicht selbst an den Ermittlungen beteiligt gewesene Polizeichef (möglicherweise befangen dennoch)? «Beide», komme ich zum Schluss, nachdem ich quality time mit den Untersuchungsakten verbracht habe.
Polizisten sowie der Untersuchungsrichter und seine Mitarbeiter haben während Monaten eine Vielzahl von Bekannten sowie Leuten, die irgendwann irgendwie mit dem Opfer zusammengekommen waren – Nachbarn, Hauswarte, Taxifahrer, Ladenmitarbeiterinnen, Kosmetikerinnen –, einvernommen. Im Laufe der Ermittlungen wurde dieser Kreis noch erweitert sogar, die Beamten befragten sozusagen jede Servicemitarbeiterin, jeden Küchenmitarbeiter, die/der seinerzeit in einem Gstaader Hotel oder Restaurant arbeitete, wo Madame mal zu Gast gewesen war.
Sie arbeiteten sich auch haarklein durch Kandinskys Adressbuch mit, unter anderem, Namen und Nummern hoher Tiere im In- und Ausland: Balladur, Edouard (Paris); Chirac, Jacques (Hôtel de Ville); Zumsteg, Gustav (Bellevue-Platz, Zürich); Beyeler, Ernst (Basel) oder Bill, Max (Zumikon). Doch weder der ehemalige Premierminister noch der ehemalige Präsident der Französischen Republik war’s, so sah es aus. Auch der Schweizer Kunstsammler sowie «Kronenhalle»-Besitzer respektive der Galerist plus Museumsgründer oder der Architekt, Professor und Grosskünstler wurden der Tat nicht verdächtigt. Immerhin bringen die Protokolle der Prominenten ein wenig Glanz in die Bundesordner: «Kronenhalle»-Zumsteg, der zurückrief, teilte mit, dass er die Kandinsky zwar nicht sehr gut gekannt, sie aber darauf hingewiesen habe, es sei gewagt, teuersten Schmuck alltäglich zu tragen. Professor Bill, den die Berner ebenfalls an den Telefonapparat bekamen, konnte noch weniger beitragen.
Bösartige Freunde aus der Bauhaus-Zeit
Näher dran gewesen waren ihr Arzt, Psychiater, Physiotherapeut oder Anwalt, ihre Kosmetikerin, Coiffeuse, Blumen- und Buchhändlerin. Doch die Gesprächsabschriften der Dienstleister enthalten bloss ein paar Allgemeinplätze – sie «verkehre in Judenkreisen», wusste der Doktor, sie habe einmal «strube Typen zu Besuch gehabt» oder eine «Italienreise in Begleitung eines ungepflegten Herrn mittleren Alters» geplant, meinten andere. Nicht zielführend zwar, was ihr Sterben angeht, erhellend trotzdem für Leser, die sich für ihr Leben interessieren. Man stellt sich dieses chic und elegant vor, schliesslich hatte die reiche Dame Zugang zur feinen Gesellschaft von Paris oder Gstaad, erwartet somit aufregendere Kalendereinträge als «Rendez-vous avec docteur A. B.», «Massage», «Maniküre/Pediküre», «Béatrice kommt zu Besuch» ... Die Wiedergabe ihrer Tage liesse sich mit «Banalität des Reichen» überschreiben.
Die Wiedergabe ihrer Tage liesse sich mit «Banalität des Reichen» überschreiben.
Nicht in den Akten steht, dass bösartige Freunde aus der Bauhaus-Zeit ihres Mannes sie als «strohdumm» bezeichneten. Dem kann entgegengehalten werden, sie habe sich «äusserst bemüht, wie alle Witwen, der Nachwelt ein engelhaftes Bild von sich zu hinterlassen, was ihr in der Biografie ‹Kandinsky und ich› meisterhaft gelungen sei» (Quelle: Sie + Er). Und auf ihrer Wikipedia-Seite steht: «Während Gabriele Münter [die deutsche Lebensgefährtin Wassily Kandinskys während langer Jahre] als Malerin in künstlerischer Konkurrenz zu ihm stand, konnte Nina mit der Unterlegenheit gegenüber Wassily umgehen und nahm ihre Rolle an seiner Seite als ‹Nur-Gattin› wahr.»
Ein lead, der genau verfolgt wurde, war ein Deutscher und gelegentlicher Hausgast, geboren 1925, wohnhaft in Paris, freier Kunstkritiker von Beruf, letztmals um Mitte August chez Kandinsky in Gstaad gewesen (sein Name ist mir bekannt, darf aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes aber nicht veröffentlicht werden). Oder war er am Sonntag vor dem Dienstag, an dem die Tat verübt wurde, noch immer im Dorf? Das behauptete jedenfalls eine Bekannte von Madame, die ihn gesichtet haben will («sichtlich erregt»). Der Verdächtige reiste dann auf Vorladung des Untersuchungsrichters ohne Anstalten zur Einvernahme nach Bern und konnte ein Alibi vorlegen – er hatte eine Verabredung mit einem Kunsthändler in einer Pariser Galerie wahrgenommen. In den Akten ist ferner erwähnt, er sei der Einzige gewesen, der an der Trauerfeier für Madame in Tränen ausgebrochen ist (was den Verdacht eher erhärtete – «Reue?»), sowie die Umstände, dass er ein «Homo» war plus «finanziell nicht auf Rosen gebettet».
Ein long shot im Vergleich zum Kunstkenner-Hausgast war der Verdacht gegen einen Schweden, der in der Nachbarschaft gewohnt hatte. Es handelte sich dabei um einen Schauspieler und Schriftsteller («ohne Einkommen», wie den Akten zu entnehmen ist), der für zweihundert Franken Monatslohn ein nahes Chalet gehütet hatte. Er habe die Kandinsky nicht gekannt beziehungsweise nicht gewusst, wer sie war («unwahrscheinlich, gestützt auf ihre Bekanntheit», ausserdem «einem Hotel 9000 Franken geschuldet»). Aber vermutlich immer noch heissere Spuren als die eines Tschechen, der untersucht wurde, nachdem er in einem Gstaader Lokal «mit Geld um sich geworfen» habe und danach «überstürzt abgereist» sei, oder eines deutschen Hotelgasts, der eines Nachts versucht habe, ins Zimmer einer Serviertochter einzudringen. Personen, die Bewegungen am Flugplatz Saanen gleich nebenan verursacht hatten, wurden überprüft, ebenso ein wegen Hehlerei vorbestrafter Hotelmitarbeiter. Die Passagierlisten von Nachtzügen nach Moskau waren angefordert worden (doch sowjetische Behördenmitarbeiter boten keine Hand zur Rechtshilfe).
Sie «verkehre in Judenkreisen», habe «strube Typen zu Besuch gehabt», wusste einer.
Ernst genommen wurde auch ein im französischen Besançon wegen Raubes einsitzender deutscher Gewohnheitsverbrecher, der erzählte, er habe in einem Gasthaus in Baden-Württemberg («mit Besuchern aus der Unterwelt») vor seiner jüngsten Verhaftung von einem geplanten Raub bei einer reichen Alten in einer Villa in Gstaad mit kostbarem Schmuck gehört.
Untersuchungsrichter Friedli fuhr dafür nach Frankreich, musste aber feststellen, dass Einzelheiten über das Verbrechen und die Täter, die der Mann kannte (und zuvor nicht schon in der Zeitung veröffentlicht worden waren), nicht belastbar waren. Sowie dass sich der «Informant» in Vergangenheit bereits wenigstens dreimal mit nicht haltbarem angeblichem Insiderwissen wichtig gemacht hatte.
War der Blumenkavalier der Mörder?
Closer to home, vor der eigenen Türe, müssen sich die Fahnder Beisshemmungen vorwerfen lassen, so sieht’s aus. Mehr oder weniger genau zur angenommenen Tatzeit hatte ein Sanitärinstallateur eine Verabredung mit Madame gehabt. Anlässlich seiner Befragung gab der Einheimische zu Protokoll, er sei wenige Minuten nach 16.00 Uhr beim Chalet Esmeralda eingetroffen – er wisse das exakt, weil die Kirchglocken vieri geläutet hätten, als er seine einen Kilometer oder so entfernte Werkstatt verlassen habe, um die Kundin aufzusuchen. Nachdem er am Hauseingang zweimal geläutet habe und einmal um das Chalet gegangen sei, ohne dass Frau Kandinsky ihn eingelassen habe, sei er retour ins Geschäft gefahren und habe gedacht: «So ein Seich – eine halbe Stunde vertan, für die ich keine Rechnung schreiben kann.» Darauf der Eintrag eines Dorfpolizisten: Der Sanitär sei glaubwürdig und unverdächtig, schon sein Vater sei in Gstaad aufgewachsen, zudem habe die Familie Immobilienbesitz und es zu Wohlstand gebracht, «das Vermögen übersteigt eine Million, und auch der Junior hat bereits einiges auf der Seite – für einen Raubmord fehlt das Motiv.»
Gelegentlich glänzen die Protokolle mit unfreiwillig komischen Einträgen, die für kleine Fluchten vom brutalen Inhalt sorgen. Unter «Administratives» steht zum Beispiel: «Grümpelturnier, abwesend werden sein Wachmeister W., Korporal B. und Gefreiter S.»
Weniger erbaulich ist, in meinen Augen, dass die Ermittler auch mit den wohl auffälligsten Beweisstücken, die der oder die Täter zurückliessen, nichts (oder jedenfalls zu wenig) anzufangen wussten. Es handelt sich dabei um drei Portionen Dünger Marke Mio-Plant, abgefüllt in kleine Kunststofftüten, wie Migros-Kunden sie beim Kauf von Schnittblumen offeriert bekommen. Zwei davon wurden im Entrée des Chalets Esmeralda hinter der Eingangstüre gefunden, eine lag vor der Begrenzungsmauer zur Liegenschaft, ausserhalb des Grundstücks. Das, dünkt’s den Laien, ist ein Steilpass für jeden Berufsfahnder.
Einer erkundigte sich tatsächlich bei einem leitenden Migros-Mitarbeiter nach den Regeln der Kundenbemusterung mit Mio-Plant-Dünger und lernte, in der Regel werde eine Packung je Blumenstrauss ohne Kostenfolge übergeben, in seltenen Fällen aber auch mehrere, beziehungsweise es könnten zusätzliche Einheiten gekauft werden. Weiter wird die Spur aber nicht verfolgt.
Was überrascht, ich deute die Mio-Plant-Funde so: Der Täter hatte Blumen in einer Migros-
Filiale gekauft. Und Düngemittel dazu bekommen. Weshalb drei Packungen? Vielleicht
kannte er die Verkäuferin. Vielleicht war er besonders nett. Danach verschob er/sie sich mit dem Blumenstrauss (und den angeklebten Mio-Plant-Säckli) zum Chalet Esmeralda – dessen vorsichtige und ängstliche Hausherrin ihn/sie erkannte. Darum die Türe entriegelte und den Besucher einliess. War der Blumenkavalier der Mörder? Ich weiss es nicht genau. Die Möglichkeit besteht aber. Ein Blumenstrauss wurde am Tatort nicht gefunden. Drei Dünger-Tüten, wie geschrieben, dagegen schon. Einen Blumen- strauss lässt man nicht zurück als Täter, Mio-Plant-Packungen verliert man möglicherweise unbemerkt ...
Stimmt der oben angenommene Ablauf, darf schlussgefolgert werden, die Täterschaft kaufte den Strauss wohl in einer Migros in der Umgebung. Und weiter: Kaufen Leute vom Stande der Kandinsky ihre Gastgeschenke beim Grossverteiler (Jetset in der Migros)? Wie gesagt, das sind Mutmassungen eines True-Crime-Lesers-und-Schreibers cum Hobbydetektivs. Bestimmt wurden aber Verkäuferinnen und Verkäufer von Schnittblumen in den drei, vier, fünf nächstgelegenen Migros-Läden befragt, ob sie sich an einen Kunden/eine Kundin erinnerten, der/die Blumen kaufte am 2. September und dazu drei Säckli Mio-Plant verlangte beziehungsweise unverlangt bekam. Würde man meinen. Gemäss Akten befragten die Polizisten aber keine Migros-Verkäuferinnen entsprechend.
Drei Jahre später, das Jahr war 1983, und in der Zwischenzeit war viel Wasser die Simme hinabgeflossen, verhaftete man den damals 37-jährigen Deutschen Peter Michailik und den 42-jährigen Österreicher Otto Turker aufgrund dringenden Tatverdachts. Die beiden wurden schliesslich vom Geschworenengericht Solothurn zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe verurteilt, wegen Mordes an einem Polizisten. Die Tötung der Nina K. konnte ihnen aber nicht bewiesen werden.
Geld im Pariser Bankfach
Das Raubgut, Schmuck im Wert von mehr als einer Million, wurde nie sichergestellt; die Täter haben wohl die Edelsteine aus den Fassungen gebrochen und nackt verkauft. Auch konnten, nebenbei erwähnt, keine Anspruchsberechtigten für den Nachlass der Kandinsky – ihre Häuser, verbliebenen Juwelen, weiteren Wertsachen und dergleichen sowie ihr Geld – gefunden werden. In einem Bankfach in Paris, das auf ihren Namen lautete, immerhin entdeckten Behördenvertreter später einige Schmuckstücke, die die längste Zeit als vermisst und Teil der Beute gegolten hatten. Die Deliktsumme musste in der Folge nach unten berichtigt werden.
Kurzes Aufsehen entstand dann noch, als ein französischer Spiritist behauptete, ihm sei der Name des Mörders erschienen: Es handle sich, tout simple, um Alexis Gehjake, Nina Kandinskys Sohn, wohnhaft in Gstaad ebenfalls. Das war, tout simple, un canard, eine Ente – es gab keinen Alexis Gehjake in Gstaad. Und Ninas einziges Kind, der Sohn Wsewolod, wurde 1917 geboren, starb aber bereits 1920.
So endete das Leben von Nina Kandinsky am 2. September 1980, der begonnen hatte wie ein weiterer beschaulicher Tag in einer langen Reihe ebensolcher. An dem aber die Schreckensvorstellung der 84-Jährigen (vielleicht 85-Jährigen) eintrat – und sie wegen des vielen kostbaren Schmucks, den sie tagein, tagaus trug, Opfer eines Verbrechens wurde.
Der Fussabdruck ihres Mannes, sein künstlerisches Werk, ist noch immer im Centre Pompidou in Paris und im Kunstmuseum Bern zu betrachten. Die Hinterlassenschaft der Witwe sind vier mit Akten gefüllte Bundesordner in der Verwaltung in Thun. Und der Anspruch, der Mord an ihr sei das bis heute vielleicht rätselhafteste Verbrechen der neueren Schweizer Kriminalgeschichte. Was es vermutlich auch bleiben dürfte. Falls nicht noch jemand, in mittlerweile fortgeschrittenem Alter, sein Herz und Gewissen, falls vorhanden, erleichtern möchte – und ein Geständnis ablegt.
Mark van Huisseling
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